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Abfangjäger und Leibwächter: Die unterschätzten „Sekundären Pflanzenstoffe“
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Ein Plädoyer für das gewaltige Geschwader pflanzlicher Substanzen, die allesamt für unsere Gesundheit ähnlich bedeutsam sind wie die viel geschätzten Vitamine.

„Sekundäre Pflanzenstoffe“, das klingt irgendwie nach zweiter Geige, nach Reservereifen oder gar nach Ballast. Verbal aufgepimpt, etwa zu SPS, klingt´s eher nach monströser Motorleistung. Doch gemeint sind nicht Musiker oder taffe Edelkarossen, auch nicht Heißluftballons mit Höhenproblemen. Vielmehr geht es um des Menschen höchstes Gut – im Gesundheitskonzert spielen die als „zweitrangig“ gemobbten Pflanzenstoffe eine erstklassige Rolle.

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Bis Mitte der 1990er Jahre war alles einigermaßen easy in der Ernährungswissenschaft. Fleißige Forscher kümmerten sich engagiert um die prominenten „Big Five“ – Kohlenhydrate, Fett und Eiweiße, Vitamine und Mineralstoffe. Auch die Ballaststofffrage hatte sich zur allgemeinen Zufriedenheit geklärt: Pflanzenfasern und Pektine sind keine überflüssigen Beigaben der Natur, sondern nützlich für des Menschen Gesundheit. Eine Parallele zum Profifußball, könnte man meinen. Auch dort stürzt sich zuerst alles auf die Stars. Beim zweiten Hinsehen aber wird klar: das kickende Kollektiv kann kaum funktionieren ohne Ballschlepper, Wasserträger und farblose Kilometerfresser.

Gleiches gilt für eine Reihe pflanzlicher Substanzen, die für unsere Gesundheit ähnlich bedeutsam sind wie die Vitamine. Unter der Dachbezeichnung „Polyphenole“rückten sie erst nach und nach in den Fokus der forschenden Gilde. Farblos sind viele davon allerdings nicht, im Gegenteil. So gehört zu ihnen die Gruppe der Flavonoide: Denen verdanken ganze Heerscharen von Blüten ihre Farbe. Sie verleihen auch Beeren, Äpfeln und Auberginen die typische Tönung, ebenso Nüssen, Trauben, Himbeeren und unzähligen anderen Naturschönheiten.

Insgesamt zählt die kunterbunte Flavonoid-Flotte etwa 8000 verschiedene Substanzen

Doch die Spezialisten fürs Farbenfrohe, anfangs verkannt als kleine Mitläufer im großen Gesundheitskonzert, können weit mehr als nur blümchenbunt. Insgesamt zählt die Flavonoid-Flotte etwa 8000 verschiedene Substanzen. So bewirken „Flavos“, dass wir, wenn wir einen Schluck Grüntee oder Rotwein trinken, den Gaumen verziehen. Aber auch ungebetene Besucher verziehen sich, erklären Forscher mit Hinweis auf entsprechende Studien: Bestimmte Sekundäre Pflanzenstoffe erweitern verengte Adern, sie verhindern, dass Blutplättchen verklumpen, machen freie Radikale unschädlich, beugen Entzündungen vor. „Polyphenole können das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten senken, vermutlich durch diese Effekte“, erklärt Professor Bernhard Watzl, Ernährungswissenschaftler am Max-Rubner-Institut in Karlsruhe. Andere Mitstreiter aus der „SPS-Klasse“ eliminieren krebserregende Stoffe, schützen vor Krebs in Lunge, Dickdarm und Brust. Sehr griffig versinnbildlicht wird diese Abfangjäger-Funktion in dem Buchtitel „Krebszellen mögen keine Himbeeren“.

Schutzstoffen mit dem Künstlernamen „Flavonoide“ verdanken wie die Farbe der Orange, das Weinrot des Bordeaux und das Tiefblau von Trauben

Professor Watzl, der seit über zwei Jahrzehnten sekundäre Pflanzenstoffe unter die Forscherlupe nimmt, weiß auch, wozu Glucosinolate fähig sind: „Sie können Vorgänge im Körper stoppen, die an der Entstehung von Krebs beteiligt sind.“ Diese SPS-Gattung, eher geläufig unter der Bezeichnung „Senföle“, gibt Kohlgemüse wie Kohlrabi und Brokkoli den typischen Geschmack. Ebenso peppt sie Kresse und Senf mit bekannt scharfer Note auf. Und die hat nicht nur für menschliche Zungen spürbare Folgen: Kohlgemüse verringert vermutlich das Risiko für Darmkrebs und Lungenkrebs. Meerrettich, ebenfalls ein Senföl-Champion, gehörte schon zu Großmutters Zeiten zum Abwehr-Arsenal aus der Apotheke der Natur. Heute erlebt es eine Auferstehung und wird, nicht nur unter Naturheilkundlern, als pflanzliches Mittel gegen Blasenentzündungen immer beliebter. Unter anderem sollen seine Inhaltsstoffe Keimen im Harnweg das Leben schwer machen.  

Blättern wir weiter im großen SPS-Handbuch: Wer ein Minzeblatt zerreibt oder es als Tee genießt, atmet dessen duftige Frische ein. Doch wer denkt schon, wenn von Pfefferminze die Rede ist, an Monoterpene. Diesen Sekundärstoffen verdanken wir das feine Minze-Aroma, insbesondere die Substanz Menthol, aber auch den Duft von Orangen und Zitronen, sei es vor Ort in Bella Italia oder im entspannenden Duftöl. Sogar die würzige Note von Kümmel und Thymian ist das Verdienst dieser Pflanzenstoffe mit dem komplizierten Taufnamen. Riecht gut und hilft gut: Die feingeistigen Aroma-Stars können verdammt unangenehm werden – gegenüber Bakterien, Pilzen und anderen Krankheitserregern; die Störenfriede werden ausgeknockt, bevor sie Schäden im System Mensch anrichten können. Außerdem halten Monoterpene Entzündungen in Schach, sogar einen Krebs vorbeugenden Effekt sagt man ihnen nach.

Keine Angst vor Dracula! Der Geruchsgigant Knoblauch gehört zu den bewährtesten Abfangjägern im Adernsystem

Weniger gut, wenngleich ähnlich charakteristisch, riechen die sogenannten Sulfide. Sie stecken zum Beispiel in Zwiebeln und Knoblauch. Erstere rühren manchmal zu Tränen, jedenfalls beim Schneiden auf dem Küchenbrett. Aber sie tun viel Gutes, unter anderem im Darm, obwohl frischer Zwiebelgeruch aus dem Mund das nicht jedem einleuchten lässt. Der „Duft“ von Kollege Knoblauch ist ebenfalls mindestens „gewöhnungsbedürftig“, jedenfalls in unseren Gefilden. Hier empfinden die meisten Zeitgenossen eine Knobifahne als unangenehm. Jedenfalls wenn sie vom Gegenüber stammt. Schuld an der Geruchsbelästigung sind Abbauprodukte, die beim Zerkleinern der Knoblauchzehen entstehen. Nichts desto trotz gelten Sulfide als enorm gesund. Moderne Studien deuten an, was Gesundheitsgurus und Erfahrungsmediziner vieler Länder schon seit Generationen wissen: Wer viel Knoblauch isst, bekommt seltener Herz-Kreislauf-Krankheiten. Und obwohl dann das Blut besser fließt, muss niemand Graf Dracula fürchten, denn der ist Knoblauchhasser. Bildhafter lässt sich die Rolle des umstrittenen Geruchsgiganten als Abfangjäger im Adernsystem kaum beschreiben.   

Die missglückte Bezeichnung „Sekundäre“ Pflanzenstoffe stammt aus der Pionierzeit der Ernährungswissenschaft

Den Arbeitnachweis der „sekundären“ Pflanzenstoffe können wir also sehen, schmecken und riechen. Bleibt die Frage offen: Warum ausgerechnet sekundär? Ist Nomen auch hier Omen? Die wissenschaftliche Erklärung ist ebenso einfach wie humorlos: Im Gegensatz zu primären Pflanzenstoffen, etwa Eiweiße und Fett, liefern die sekundären weder Energie noch sind sie am Zellaufbau beteiligt. Sekundäre Pflanzenstoffe – zweifellos eine etwas unglücklich gewählte Bezeichnung, die aus der Pionierzeit der Ernährungswissenschaft stammt. Seinerzeit stand im Forscherfokus, dass diese Substanzen Pflanzen schützen, ihnen kriechende und fliegende Fressfeinde von Blatt, Blüte und Frucht fernhält, Krankheitserreger abwehrt, UV-Strahlen abschirmt und letztlich Blüten wie Früchten Farbe und Glanz verleiht.

Wer möglichst viele Obst- und Gemüsesorten kombiniert, nimmt erheblich mehr SPS-Power an Bord

Das aber mag möglicherweise noch kommen, denn das Thema „Pflanzliche Leibwächter“ ist längst noch nicht vom Tisch. Obwohl Forscher bereits eine ganze Menge über deren Inhaltsstoffe wissen, können sie die Wirkungen nur selten einzelnen Substanzen zuordnen. Wovon genau der Mensch besonders profitiert, bleibt also bis auf weiteres im Detail offen. „Sekundäre Pflanzenstoffe liegen als komplexes Gemisch in der Pflanze vor und entfalten zusammen verschiedenste Effekte“, erklärt Professor Watzl den weiterhin weißen Fleck in der SPS-Forschung. Demgegenüber hat es der moderne Fußballforscher geradezu spielerisch leicht – dank Videoanalysen, Fernsehbildbeweisen und professionellen Spielbeobachtern lässt sich das Wie oder Warum von Sieg, Niederlage oder Remis genau auswerten. Was das Essverhalten angeht, auch das von Sportlern, können Experten derzeit nur raten, dass wir uns möglichst vielfältig ernähren. Das bedeutet: Reichlich Obst und Gemüse auf den Teller, verschiedenfarbige Sorten auswählen, jeden Tag fünf Portionen davon essen, mindestens. Motto: der Mix macht´s.

Besser Bio-Qualität vom Bauern als verweichlichte Gewächshaus-Ware

Und der sollte am besten vom Bio-Bauern stammen. Denn dänische Wissenschaftler fanden heraus, dass beim Verzehr ökologischer Lebensmittel mehrFlavonoide aufgenommen werden, als wenn man konventionell erzeugte Lebensmittel isst. Als Ursache vermuten sie, dass im Ökolandbau keine Pestizide eingesetzt werden. Pflanzen, denen die natürliche Abwehr von Insekten, Pilzen und Bakterien abgenommen wird, entwickeln eben weniger Abwehrstoffe. Ein „Verweichlichungseffekt“ der sich auch an Gewächshaus-Ware beobachten lässt. Auf jeden Fall aber spielt die Sorte eine gewichtige Rolle. Beispiel Apfel: Alte Sorten, z. B. der runzelige Boskop, unbestritten nicht die Hübschesten im Lande, enthalten deutlich mehr SPS-Power als taffe Tafeläpfel aus dem Supermarkt. Die Reife scheint ebenfalls wichtig zu sein. Je reifer das Obst und Gemüse, desto mehr Abfangjäger, Leibwächter und verdeckte Vermittler sind an Bord.

Video: Sekundäre Pflanzenstoffe – ein Plus für Ihre Gesundheit

Quellen: u.a Netcoo Magazin
Bild:      © SimoneWernerNey - fotolia.com

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